Freihandel vs. Schutzölle - Was ist das bessere Modell?
Zum Konzept:
Es stehen sich zwei wirtschaftliche Denkschulen gegenüber, die des Freihandels und der Schutzzölle.
Vertreter des Freihandels war seit jeher Angloamerika, wobei unter Trump heute diese Bestrebungen v.a. in Bezug auf China abgeschwächt werden sollen.
Die Engländer führten das Siegel "Made in Germany" ein, um den Siegeszug deutscher Produkte einzugrenzen (Kaiserreich/Gründerjahre).
Denn dieser Siegesszug konnte wiederum stattfinden, weil das Kaiserreich Schutzzölle gegen billige ausländische Importe verhängte und damit die inländische Produktion stärkte.
Der Nachteil besteht in einer Zollspirale, daß andere Nationen ebenso Straf-Zölle erheben und der positive Effekt einer Stärkung der eigenen Produktion zwecks Export durch Schutz-Zölle wieder vernichtet wird.
So flammte schließlich nach Bismarck der alte Liberalismus wieder auf.
Seit dem Rücktritt des Fürsten Bismarck hat die Politik des Deutschen Reiches in der
Beseitigung der Freihandelslehre fast nichts mehr geleistet. Die Handelsverträge unter Caprivi
waren ein offensichtlicher Rückfall in die Bahnen des Freihandels. Und wenn auch Fürst
Bülow die Zollsätze wieder etwas erhöhte, seine ganze Politik, die nach allen Seiten ihre
Gaben verteilte, war wenig geeignet, Klarheit in großen einfachen Prinzipien aufkommen zu
lassen.
(Dr. G. Ruhland, "Der freihändlerische Individualismus und die organische Auffassung der Volkswirtschaft.")
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AW: Freihandel vs. Schutzölle - Was ist das bessere Modell?
Zoll ist eine einfache Möglichkeit für den Staat, an Geld zu kommen - derjenige, der zollbehaftetes kauft, bezahlt ja den Zoll. Wird das eingenommene Zollgeld dafür verwendet, um im Ausland zollbehaftete Waren preiswerter im Inland herzustellen, um dann trotz Ausfuhrzoll dort günstig zu erscheinen, hätte man die Verteuerung des Zolls ja kompensiert. Aber das ist in Deutschland Wunschdenken.
Zoll behindert den freien Wettbewerb und damit Produktionsfortschritte, die ohne Zoll möglich wären. Steuern und Gebühren ebenso, aber das ist hier nicht das Thema. Andererseits unterlaufen in Bangladesh hergestellte Textilien deutsche Sozialstandards; es fallen beim Export nach Deutschland ja keine Rentenansprüche, Krankenkassenbeiträge ... für in Deutschland beschäftigte an, bez.w. sind in der Kostenstruktur nach Deutschland kaum derartige Kosten enthalten. Ausserdem entfallen in Bangladesh viele Verteuerungsarten wie teure Stromkosten, Bürokratiekosten, ... nicht an, um nur ein paar zu nennen. Somit haben diese Importe praktisch die gesamte Textil - und Lederwarenbranche in Deutschland abgeschafft (es mag noch minimale Reste geben, technische Textilien zum Beispiel).
Um z.B. in Tunesien ohne Zoll für Deutschland produzieren zu können ist dort jede deutsche Fabrik ein Zollgebiet. Die Container mit Waren / Maschinen kommen direkt ab Deutschland dorthin, ein Zöllner, der dort beschäftigt ist, überwacht das Entladen von halbfertiger Ware und das Beladen mit Fertigware. Die Ware darf (ausser im verplombten Container) das Hoftor nicht verlassen, das wäre ein Zollvergehen. Selbstverständlich gelangen über solche Container auch Handis ... für Mitarbeiter nach Tunesien, solche Systeme werden grundsätzlich auch unterlaufen, zumal die Einfuhr von vielem mit hohen Zöllen behaftet ist.
In wieweit die Textil - und Lederwarenbranche in Deutschland mit entsprechenden Importzöllen noch erhalten geblieben wäre, wäre eine interessante Frage, zumal sie sich ja auch auf ganz andere Gebiete erstreckt, die jetzt gerade von billigeren Importen bedroht sind. So die Automobile, die ja kaum noch in Deutschland produziert werden. Hier sollen Zölle das Schliessen der letzten Fabriken verhindern.
Allerdings ist die Zollerhebung sehr teuer; Zöllner sind oft Beamte, und die Produktpalette ist riesig und unüberschaubar. So war ich mal vor der EU mit einem Kleinlaster voll mit technischen Textilien von Deutschland nach Wien unterwegs; trotz Carnée wurde mein Auto an der Österreichischen Grenze versiegelt; ich brauchte einen Zollagenten, der für mich bürgte und der 3% des Warenwertes kassierte. In Wien machte ein Zöllner im Hauptzollamt die Ware dann frei.
Zoll ist demnach immer eine Krücke, um die viel zu teuer hergestellte Ware trotzdem produzieren und verkaufen zu können. Als erstes sollte man an den vielen Stellschrauben drehen, die die Produktion so unsäglich verteuern und danach erst sehen, was übrig bleibt - oft überwiegt dann der Standortvorteil.
AW: Freihandel vs. Schutzölle - Was ist das bessere Modell?
Zölle sind letztlich auch eine Möglichkeit, dass ein Land oder ein Wirtschaftsraum sich vor der Flutung mit Produkten aus Ländern mit Niedrigstlöhnen schützt.
Einige dieser Extemen waren vor längerer Zeit mal die VHS-Cassetten, für die Anfang der Neunziger spezielle EU-Schutzzölle eingeführt wurden, weil diese Cassetten besonders in Südkorea zu Löhnen hergestellt wurden, die in Europa bereits undenkbar geworden waren.
Weiter ging und geht es bis heute noch bei vielen Erzeugnissen, beispielsweise sehr repräsentativ bei Bekleidung.
Die Dramen aus Bangladesh (wo eine Näherin im ganzen Monat nur den Gegenwert von vielleicht 30 Euro verdient) und anderen Extrem-Niedriglohnländern sind sicher noch in allgemeiner Erinnerung, und dann in der weiteren Stufe erleben wir es gerade aktuell mit den extrem preiswerten Solarmodulen und E-Autos aus China.
Und Kostendruck auf die Ausgangsstoffe für Medikamente und die daraus resultierende Verlagerung nach China und Indien ist uns allen doch auch noch geläufig.
Meine persönliche Meinung: Ohne ein gewisses Maß an Schutzzöllen geht es heutzutage im weltweiten Handel gar nicht mehr, wenn Hochlohnländer in direktem Wettbewerb mit Niedrigstlohnländern stehen und dadurch nicht erhebliche Einbußen hinnehmen wollen.
Wir, also der gesamte Westen, hat sich mit seinen ganzen sozialen Wohltaten aus jedem direkten Kostenvergleich mit den Niedriglohnregionen der Welt (vor allem Ost- und Südostasien) hinaus katapultiert.
Hinzu kommen auch noch zwei weitere Faktoren, die den Kostendruck auf europäische Waren weiter ansteigen ließen:
1. Seit den Achtzigern und nach dem Zusammenbruch der Wirtschaften in zuvor abgeschotteten kommunistischen Ländern (vor allem in China mit seinen eineinhalb Milliarden Menschen, die zuvor wirtschaftlich gar nicht wahrgenommen wurden) kamen plötzlich viele Millionen neuer Arbeitnehmer neu in den Wettbewerb, die logischerweise indirekt als Hebel für den Preisdruck mitwirken;
2. Bei immer weiter zunehmender Rationalisierung und Automatisierung und gleichzeitiger Zuname der Weltbevölkerung, einhergehend mit sich den Sättigungsgrenzen nähernden Produktkategorien, bleibt eine zunehmende Verknappung von Arbeitsplätzen gar nicht aus.
Mein persönliches Fazit:
Bei Fortschreibung der derzeitigen Marktparameter und politisch-soziologischen Bedingungen werden Schutzzölle eine zunehmende Bedeutung und Rechtfertigung erfahren, wenn ganze Regionen wie beispielsweise Europa nicht auf das wesentlich niedrigere, kostengünstigere Lebenskosten-Niveau der riesigen Niedriglohnregionen absinken wollen.
Trotz der Regularien der WTO hat sich die völlige Handesfreizügigkeit mit nur minimalen Zöllen als vergifteter Pfeil erwiesen. China führt uns gerade drastisch vor Augen, wie man den ursprünglich angedachten freien Handel mit versteckten staatlichen Maßnahmen unterlaufen und aushebelb kann.
Noch einfacher formuliert: Niedriglöhne von etwa zwei Dritteln der Erdbevölkerung stehen in direktem Konkurrenzkampf gegen die hohen Lebensstandardkosten einer kleinen Hochlohn-Minderheit in Europa und Amerika.
AW: Freihandel vs. Schutzölle - Was ist das bessere Modell?
Was will man zuallerst und in der Hauptsache? Wissenschaftlich-technischen Fortschritt? Steigerung des Bruttosozialproduktes? Eine Vielfalt an Gütern und Leistungen? International als Wirtschaftsmacht mitreden können? Die Würde der Arbeit schützen? Einen wohlgegliederten, ausgefächerten Mittelstand erhalten und entfalten? Ökonomische Unabhängigkeit?
Zölle und sonstige Handelsregularien sind selten eine Prinzipienfrage, sondern meist eine des richtigen oder falschen Werkzeuges, ein gegebenes Ziel zu erreichen.
Es ist also zuerst eben dieses Ziel zu bestimmen!
Und das ist keine wirtschaftswissenschaftliche, auch keine wirtschaftsphilosophische Frage, sondern eine metapolitische.
AW: Freihandel vs. Schutzölle - Was ist das bessere Modell?
Zitat:
Zitat von
-jmw-
Was will man zuallerst und in der Hauptsache? Wissenschaftlich-technischen Fortschritt? Steigerung des Bruttosozialproduktes? Eine Vielfalt an Gütern und Leistungen? International als Wirtschaftsmacht mitreden können? Die Würde der Arbeit schützen? Einen wohlgegliederten, ausgefächerten Mittelstand erhalten und entfalten? Ökonomische Unabhängigkeit?
Zölle und sonstige Handelsregularien sind selten eine Prinzipienfrage, sondern meist eine des richtigen oder falschen Werkzeuges, ein gegebenes Ziel zu erreichen.
Es ist also zuerst eben dieses Ziel zu bestimmen!
Und das ist keine wirtschaftswissenschaftliche, auch keine wirtschaftsphilosophische Frage, sondern eine metapolitische.
Das Ziel der Wirtschaft sollte die Steigerung der produktiven Kräfte sein.
Dafür können, je nach Lage, auch Schutzzölle ein angemessenes Mittel sein.
AW: Freihandel vs. Schutzölle - Was ist das bessere Modell?
Die EU entstand durch den Wunsch, innerhalb der EU - Länder zollfrei und einfach handeln zu können. Mit einer einheitlichen Währung, gleichen Steuern und Abgaben, in etwa gleichen Löhnen, gleiche Vorschriften, gleiche Bürokratie, gleiche Verschuldung .... Dabei wurde aber nicht auf ein Minimum an Kosten und ein Maximieren der Staatssysteme geachtet, sondern immer feste draufgesattelt. Ziele wie eine verträgliche Staatsquote (etwa 33% wurde mal als Optimum definiert) gab es nicht mehr, die Verwaltungsgebäude wuchsen und wuchsen und die da beschäftigten mussten ja bezahlt werden. Heuer liegt die deutsche Staatsquote bei weit über 50%, das bedeutet, jeder €, der verdient wird, ist erstmal nur etwa 44 Cent wert; und dazu müssen noch Sozialabgaben wie Krankenkasse, Rentenbeiträge ... bezahlt werden. Das reicht naturgemäss nicht mehr für einen Arbeiter, eine Familie zu ernähren; Frau muss mitverdienen mit bekannten Nachteilen.
Die Nicht - EU - Länder haben die Zwänge der Einhaltung der EU - Normen nicht; sie können ihre Staatsquote weit unter 50% drücken und haben somit einen Standortvorteil. In Bangladesh hat man Produktionszentren geschaffen, die so kostengünstig wie möglich sind. Das Zollabkommen für Textilien aus Bangladesh mit Deutschland läuft 2026 aus:
https://www.bmz.de/de/laender/bangla...ituation-10694
Das bedeutet: Es gibt zukünftig Zoll auf Textilien aus Bangladesh, und zwar kräftig. Diese Textilien werden wesentlich teurer werden. Das bedeutet aber nicht, dass in Deutschland wieder eine Textilfabrik entstehen wird. Es handelt sich demnach um eine Verteuerung, die einer Steuer entspricht.
AW: Freihandel vs. Schutzölle - Was ist das bessere Modell?
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Gero
Das Ziel der Wirtschaft sollte die Steigerung der produktiven Kräfte sein. [...]
Warum? Warum dieses und kein anderes?
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-jmw-
Warum? Warum dieses und kein anderes?
Alles andere ist ein Nebenprodukt der Verfolgung dieses Ziels.
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Gero
Alles andere ist ein Nebenprodukt der Verfolgung dieses Ziels.
Sehe ich nicht so.
Nehmen wir, was ich oben schrub: Einen wohlgegliederten, ausgefächerten Mittelstand erhalten und entfalten.
Dieser könnte, denken wir an den familiengeführten bäuerlichen mittelständischen Mischbetrieb, durchaus unproduktiver sein als andere organisatorische Arrangements, jedoch aus anderen Gründen erwünscht.
AW: Freihandel vs. Schutzölle - Was ist das bessere Modell?
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-jmw-
Sehe ich nicht so.
Nehmen wir, was ich oben schrub: Einen wohlgegliederten, ausgefächerten Mittelstand erhalten und entfalten.
Dieser könnte, denken wir an den familiengeführten bäuerlichen mittelständischen Mischbetrieb, durchaus unproduktiver sein als andere organisatorische Arrangements, jedoch aus anderen Gründen erwünscht.
Was genau ist denn der Mittelstand?
Ursprünglich waren es mal Handwerkbetriebe mit einem Meister, zwei Gesellen und einem Lehrling.
Später kleine Firmen mit Mitarbeiterzahlen im zweistelligen, dann dreistelligen und schließlich heute vierstelligen oder gar niedrigen fünfstelligen Bereich.
Wenn sich diese Entwicklung fortsetzt wird Mitte des Jahrtausends ein interplanteares Asteroidenbergbauunternehmen mit Millionenbelegschaft zum "Mittelstand" gezählt werden.
Bei Lösung des Energie/Effizienz-Problems wird die traditionelle Landwirtschaft langfristig durch platzsparendere, industrielle Hydrokultur (für Obst und Gemüse) oder direkte bakterielle Synthesebetriebe (für Mehl und Molkereiprodukte) abgelöst werden.
Das freiwerdende Land kann dann wahlweise entweder als Bauland oder Stadtpark genutzt oder wieder in echtes Wildgebiet (Wald, Sumpf, Moor, Hecke) verwandelt werden.